Eine Fluglinie kann sich bei der Annullierung eines Fluges aufgrund eines Streiks nicht per se darauf berufen, dass sei ein "außergewöhnlicher Umstand, der sie von der Zahlung der Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechte-VO befreit.

Die Konsumenten hatten einen Flug von Wien nach Madrid für 23.10. 2009 und retour am 26.10.2009 bei der beklagten Iberia gebucht. Die Gewerkschaft des Kabinenpersonals stellte bereits am 08.10.2009 einen Streik in Aussicht. Zum Streik wurde am 22.10.2009 für 26. und 27.10.2009 aufgerufen. Die beklagte Partei erfuhr am 22.10.2009, dass der gegenständliche Flug ausfallen wird. Am Tag des Hinfluges wurden die Konsumenten am Schalter des Flughafens Madrid-Barajas darüber informiert, dass der Rückflug entfallen wird. Die für zwei bis drei Tage später angebotenen Ersatzrückflüge konnten die Konsumenten nicht annehmen, da sie früher zurückfliegen mussten. Sie buchten sich daher aus eigenem einen Ersatzrückflug. Dieser kostete EUR 621,46.

Das Erstgericht verneinte den Anspruch auf Ausgleichsleistung nach Art 7 VO 261/2004 mit der Begründung, die Annullierung des Rückfluges sei nicht vermeidbar gewesen, obwohl die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte. Wohl stünden die Mehrkosten für die Ersatztickets als Unterstützungsleistungen gemäß Art 8 VO zu.

Gegen den abweisenden Teil des Urteil richtete sich die Berufung des VKI. Das Berufungsgericht gab der Berufung Folge und bejahte den Anspruch auf Ausgleichsleistung in Höhe von EUR 400,00 pro Reisendem mit folgender Begründung.

Nach Art 5 Abs 3 VO sei ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichsleistungen zu leisten, wenn es nachweisen könne, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Im Erwägungsgrund 14 der VO führe als möglichen außergewöhnlichen Umstand unter anderem einen den Betrieb des ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streik an. Der Begriff "außergewöhnlichen Umstände" sei in der VO nicht definiert. Die Auslegung von Begriffen, die das Gemeinschaftsrecht nicht definiere, habe nach ständiger Rechtsprechung entsprechend ihrem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet würden, und mit dem mit der Regelung verfolgten Ziel zu erfolgen. Begriffe in einer Bestimmung, die eine Ausnahme von einer gemeinschaftsrechtlichen Verbraucherschutzvorschrift darstellen würden, seien außerdem eng auszulegen (vgl C-336/03). Weiters seien die Erwägungsgründe, die einen Inhalt präzisieren, zur Auslegung heranzuziehen (vgl C-334/04; C-549/07). Der Inhalt und die Reichweite des Tatbestands "außergewöhnlicher Umstände" sei durch Wortinterpretation und systematische und teleologische Auslegung zu ermitteln (vgl C-549/07).

Ziel des Art 5 VO sei nach dem ersten und zweiten Erwägungsgrund, ein hohes Verbraucherschutzniveau für Fluggäste zu erreichen, weil Annullierungen ein Ärgernis sein und große Unannehmlichkeiten verursache. Sollte es Luftfahrtunternehmen im Fall von Annullierungen nicht möglich sein, diese Voraus anzukündigen und unter Umständen eine anderweitige Beförderung anzubieten, dann ergebe sich aus dem zwölften Erwägungsgrund und Art 5, dass sie einen Ausgleich zu leisten hätten, sofern die Annullierung nicht auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe und sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. In diesem Zusammenhang zeige sich klar, dass Art 5 Abs 1 Buchst. C VO den Grundsatz aufstelle, dass Fluggäste bei Annullierungen einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen hätten. Art 5 Abs 3 VO als Befreiungstatbestand von der Zahlungspflicht sei daher eng auszulegen. Erwägungsgrund 14 habe nur Hinweischarakter. Damit solle nur ausgedrückt werden, dass die dort genannten Umstände einen außergewöhnlichen Umstand eintreten lassen können, weswegen nicht alle Umstände, die mit den aufgezählten Vorkommnissen einhergehen, unbedingt einen Befreiungsgrund darstellten.

In Übereinstimmung Rechtsprechung des EuGH ( C-549/07 Wallentin-Hermann gegen Alitalia, C-402/07 und C-432/07 Sturgeon gegen Condor Flugdienst GmbH, Böck und Lepuschitz gegen Air France SA) sei der Berufungswerberin daher beizupflichten, dass ein Streik für sich alleine keine "außergewöhnlichen Umstände" begründe. Es sei zu differenzieren.

Keinesfalls könne man mit der bloßen Abgrenzung, ob ein betriebsinterner oder externer Streik vorliege dazu kommen, dass "außergewöhnliche Umstände" vorlägen oder nicht. Weder der Wortlaut des Art 5 Abs 3 VO, noch Erwägungsgrund 14 oder der Sinn und Zweck der VO böten für eine solche Unterscheidung einen Anhaltspunkt. Nur wenn der Streik ein Vorkommnis sei, das im Zusammenhalt mit seinem Verlauf, seiner Reichweite nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sei, könne dies einen "außergewöhnlichen Umstand" begründen, wie beispielsweise, wenn ein spontaner Aufruf zum Streik bei einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad zur Arbeitsniederlegung nahezu alle Piloten eines Flugunternehmens führe.

Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von "außergewöhnlichen Umständen" liege beim Luftfahrtunternehmer. Dieser sei die Beklagte aber nicht nachgekommen. Sie habe kein konkretes Vorbringen dazu erstattet, wann sie erstmals vom Streik erfuhr und so bei ihr bekannt war, welche Flüge davon betroffen waren, weiters dazu, dass sie aufgrund dessen weder in zeitlicher, noch personeller Hinsicht die Möglichkeit gehabt hätte, darauf hinsichtlich des konkret betroffenen Fluges zu reagieren, welches Personal der Beklagten in welchem Umfang, gemessen am gesamt zur Verfügung stehenden Personal streikte und daher für die Durchführung der vom Streik betroffenen Flüge nicht zur Verfügung stand und inwieweit der Streik nicht beherrschbar gewesen sei.

Der Beklagten sei auch nicht der weiters erforderliche Nachweis gelungen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen sei, ohne nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, die zur Annullierung des Fluges geführt haben. Es wurden keine konkreten Behauptungen dazu aufgestellt, inwiefern sie versucht habe, für den konkret annullierten Flug betriebsintern oder extern einen Ersatzflug zu organisieren und woran die Bereitstellung eines solchen Fluges im konkreten gescheitert sei.

Die Beklagte kam daher der vom EuGH für den konkreten Einzelfall geforderten Darlegungs- und Behauptungslast nicht nach, sodass der Befreiungstatbestand des Art 5 Abs 3 VO zu verneinen gewesen sei.

Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

HG Wien 28.8.2013, 1 R 266/12g
Klagevertreter: Dr. Gerhard Deinhofer, RA in Wien